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Alexandra Matzner

 

In Heimat gekleidet, warte ich hinterm See

 

Judith Saupper und Elisabeth Wedenig haben sich aufgemacht, eine Reise in Parallelschwüngen zu unternehmen. Der Titel der Schau LANDVERMESSUNGEN1   – die Kartografierung (un)bekannter Landstriche im Plural – ist in mehrfacher Hinsicht programmatisch. Meint das Wort im allgemeinen Sprachgebrauch doch die Auseinandersetzung des Menschen mit der ihn umgebenden Natur, den Wunsch, die Topografie zu erfassen, um sich über räumliche wie Mensch-Natur-Beziehungen klar zu werden. Saupper und Wedenig deuten den Begriff um und fassen ihn als vorangestellte Referenz auf ihre performativen Provinzerkundungen. Auf dem zurückgelegten Weg wurde aus der Provinz dann doch keine neue Heimat und aus ihrer Postkartenkorrespondenz ein Dokument künstlerischen Austauschs. In der bäckerstrasse4 – plattform für junge kunst wurde Provinzpost an die Wand gepinnt, Luftpoeten berührten Christine Lavant, Vögel und Steine bildeten eine Prozession ... Doch wir wollen am Anfang beginnen.

 

Formelhafte Landvermessung

Die Idee, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten2 und dennoch an völlig verschiedenen Orten zu leben, sich über Postkarten auszutauschen, gleichwohl stilistisch und formal eigenständig zu bleiben, stellte sich für beide Künstlerinnen als gangbarer Weg heraus. Die Straße des Zufalls brachte sie trotz räumlicher Trennung als Personen einander näher und führte in ihren Werken zu überraschenden Korrespondenzen.

 

„Landvermessungen“ ist der Titel, den Saupper und Wedenig für ihre gemeinsame Präsentation gewählt haben. Der in der bäckerstrasse4 – plattform für junge kunst aufgebaute Dialog zwischen skulpturalen, gezeichneten und gemalten Werken führt die stilistische Heterogenität der beiden Künstlerinnen zu einem komplexen Geflecht unterschiedlicher Themenspektren zusammen: Heimat, Provinz, Erinnerung, Geschichte, poetische Aneignung der Welt – um nur einige zu nennen.

 

Die Maßangabe für die „Heimatfähigkeit“ ist Meter. Die Objektivität des Ergebnisses ist nur eine scheinbare, wurde sie doch durch ein subjektives Gefühlsbarometer ergänzt: Immerhin beschreibt die Formel  = g die „Heimatfähigkeit“ von Orten. Abgeleitet von der Berechnung des Urmeters fügt sich g für die Erdbeschleunigung an. Wien entspricht für Judith Saupper daher 1 Meter und 24 Zentimeter. Villach kommt auf 1,22 m, St. Veit an der Glan nur auf 0,014 m, Hard dagegen auf beachtliche 3,93 Meter. Wien gab in der Galerie als aktueller Ausstellungsort die Gefühlslänge vor und wurde mit einer Wandzeichnung an der Fassade repräsentiert. Weitere Orte aus Sauppers und Wedenigs „Landvermessungen-Tour“, einer Ausstellungstournee durch die Provinz, wurden und werden noch auf ihr Potenzial abgeklopft. Das zeitgenössische Leben als KünstlerIn sieht eine nomadische Lebensform vor, Erfahrungen von Entwurzelung, Neuankunft, Sich-selbst-Verorten bestimmen den Berufsalltag. Wie wichtig daher Erinnerung und Stimmung in der Heimatfähigkeitsgleichung sind, zeigt der hohe Ausschlag von 4,07 Metern für das Bildungshaus St. Arbogast in Götzis. Der Ort liegt in Vorarlberg, woher Saupper kommt. Im Untergeschoß visualisiert ihr Hängeobjekt „Schattenzeichnung (Heimat bei wechselnden Lichtverhältnissen“ (2015) die Ergebnisse der Recherche in 3-D. Die fragile Konstruktion erinnert an eine Hütte, an ein dekonstruiertes, beschädigtes Zuhause und wirft bei verschiedenen Lichtverhältnissen noch unterschiedlich lange Schatten, die als weiße Linien am Fußboden fixiert wurden. Abhängig von der BetrachterInnenperspektive verändern sich die zugewiesenen Längen der „Heimatfähigkeit“ erneut. Weitab von geografischen Erfassungsversuchen stellt sich Judith Saupper so schwierigen Fragen, Gefühlen und Zuständen wie Provinz, Heimatverbundenheit, Kindheitserinnerungen und deren Auswirkungen auf ihr aktuelles Leben.

 

Erfahrungskunst, Zukunftshoffnung

„Kunst ist dadurch politisch, dass sie einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit aufteilt und dass die Gegenstände, mit denen sie diesen Raum bevölkert, und die Rhythmen, in die sie diese Zeit einteilt, eine spezifische Form der Erfahrung festlegen, die mit anderen Formen der Erfahrung überstimmt oder mit ihnen bricht.“3 (Jacques Rancière)

 

Die Räume und die Erfahrungen, mit denen sich Elisabeth Wedenig und Judith Saupper beschäftigen, sind sowohl persönliche als auch geografische. In den letzten beiden Jahren haben sie sich intensiv mit der Provinz auseinandergesetzt, diese vermessen, also für sich selbst erfasst, und „Provinzpost“ geschrieben. Schon seit den alten Römern und vor allem aus der metropolitanen Perspektive gilt sie, die Provinz, als „rückständige, vom gesellschaftlichen Leben der Großstädte abliegende Gegend“4. Das Eigenschaftswort „provinziell“ beschreibt eine hinterwäldlerische Situation, ländlich-langsames Leben oder unzeitgemäße, weil veralterte Ansichten. In letzter Zeit hat das entschleunigte Landleben jedoch Hochkonjunktur – was teils mit romantischer Verklärung und teils mit melancholischer Großstadtabkehr begründet werden kann. Doch welche Qualitäten kann das Hinterland wirklich entwickeln? Welche individuellen, künstlerspezifischen Bildwelten und Weltbilder lassen sich dort generieren? Und ist dort wirklich ein ganz „anderes“ Leben möglich?

 

Wenn auch eine mathematische Beschreibung von Wien als Liniengerüst auf der Fassade prangt, so basiert die Kunst von Judith Saupper und Elisabeth Wedenig doch auf Feldstudien, sie ruht auf den gefühlten Qualitäten der Räume. Die Künstlerinnen laden ein zur Tiefenforschung über das Wesen des Ländlichen und nähern sich diesem über Aufenthalte, Reisen, Pop-up-Ausstellungen – aber auch über Poesie. Beide Künstlerinnen stammen, wie man in Österreich so schön sagt, aus der Provinz und haben in Wien studiert. Beide kennen das kulturelle Gefälle zwischen Großstadt und Land, das sich auch in unterschiedlichen Dialekten und Fachsprachen widerspiegelt. Beide haben sich der Frage stellen müssen, wie viel Heimat sie mit den Landstrichen ihrer Kindheit verlassen haben.

 

Garantiert die Rückkehr in die Provinz ein Wiederfinden? Oder kann sich ein Ort, den man zum ersten Mal betritt, schon in Träume eingeschlichen haben, sich in einem Gefühl von Vertrautheit und Angekommensein manifestieren? Am 28. April 2014 schrieb Elisabeth Wedenig: „Anschließend an den Schlaf – Wachzustand. Fand ich doch tatsächlich bei der Anreise hierher einen Ort, der mir scheinbar aus einem Traum bekannt ist. – Ein Fehler im Schmetterlingsflug?“ Die Malerin aus Kärnten macht sich in ihren Bildern Doppel- und Mehrdeutigkeiten zunutze und bewegt sich zwischen Stimmungsbild und Realitätsbeschreibung, zwischen Traumgesicht und Wirklichkeitserfassung. In der Serie „Ich warte hinterm See“ (2014–2015) deutet sie Figuren, Vögel, Berge an und lässt sie im nächsten Moment zu Farbnebeln verschwimmen. Gegenständlich Greifbares und aufgelöst Unfassbares kreuzt Wedenig, um gleichzeitig über die Möglichkeiten der Malerei nachzudenken. Fehlstellen, Metamorphosen, Überdeckungen kennzeichnen trotz der Realitätsnähe der Figuren diese als Gemachte, als naturalistische Fiktionen. Der lange Blick auf das Motiv, die Verdichtung des Sujets bringen keine alles zudeckende Ebene hervor, sondern legen einzelne Schichten offen. Je länger sie etwas anschaut, so erzählt die Künstlerin, desto stärker treten für sie Strukturen hervor.5 Alle sieben Gemälde der Serie sind formal miteinander verbunden. Linien ziehen sich über einzelne Kompositionen hinweg, Motive werden aufgeteilt, die Titel lesen sich wie poetische Manifestationen von Christine Lavant.

 

„Schnitte“ (2014) ist eine Serie von vier Zeichnungen auf Schnittbögen von Elisabeth Wedenig. Die titelgebenden Bildträger hat sie gefunden, sie stammen direkt aus der Handwerkstube, in der vermutlich eine Näherin tätig war, und repräsentieren dadurch in mehrfacher Hinsicht die Provinz: Die Schnittbögen verweisen primär auf handwerkliches Können, und ihre Formen lassen auf traditionelle Kleidungsstücke für Frauen schließen. Immer wieder hielt die Künstlerin auf ihren Postkarten fest, nach welchen Parametern das Leben in der Provinz funktioniert. Ihre Äußerung, dass die Provinz (als Wort) weiblich wäre, darf gerne auch als Metapher für die auffallende Trennung von Lebenssphären gedeutet werden. Frauen sind für den Blumenschmuck des Hauses zuständig (sonst gibt es schlechte Nachrede), Männer besuchen das Dorfgasthaus, das mit einem Playboy-Kalender geschmückt ist. Kann man sich, wenn man diesen seit Urzeiten eingespielten Verhaltenskodex einmal eingeübt hat, leicht wie ein Vogel aus ihm entfernen? Oder bleibt man immer ein „Kind vom Land“?

 

Hüttenromantik und Trachtenmode, Ochsen und Steinböcke als Accessoires, emotional aufgefasste Religiosität und althergebrachte Riten lassen sich gegebenenfalls nicht nur als österreichischer Mythos enttarnen, real ist er und medial verarbeitet zur selben Zeit. Ist Heimat noch über solche Symbole empfindbar? Weder Wedenig noch Saupper geben sich einfachen Illusionen hin. Die Fehlstellen in Wedenigs Bildern zeugen davon, sie werden in der Serie „Prozessionsbilder“ (2014–2015) sogar noch größer. Die ungrundierte Leinwand wie auch der Trachtenstoff treten roh hervor und stören auf fast penetrante Weise die Bildillusion. Die Zeichnung steht gleichberechtigt neben malerischen Partien. Zwei Arbeiten – „ländliche Fruchtbarkeit / der Weg zum Hasen“ und „ländliche Fruchtbarkeit / der Weg zum Hahn“ (beide 2014)  – verfolgen auf spielerische Art, wie sich die Reproduktion als Produktionsprozess in die Landschaft und ihre geografische Notation eingeschrieben hat.

 

Aber auch Judith Saupper macht sich diesen Kunstgriff zu eigen: „Sich die Heimat wie ein Kleid umlegen (oder die blinden Flecken der Provinz)“ (2014) arbeitet mit „Löchern“ im Gefüge, um auf die ungelösten Probleme in bzw. mit der Heimat aufmerksam zu machen. Das Gegenteil von Festhalten zeigt die sechsteilige Serie von collagierten Zeichnungen und Drucken mit dem Titel „(De)Konstruktion von Erinnerung 1-6“ (2014). Um der Erinnerung ein neues Aussehen zu verleihen, zitiert Saupper Ausschnitte aus „Sich die Heimat wie ein Kleid umlegen (oder die blinden Flecken der Provinz)“ und setzt sie in eine neue Umgebung. Ausgehend von diesem ersten Werk rekombiniert sie Bildsegmente, setzt sie neu zusammen und verändert permanent das Gesamtbild. Diese Vorgangsweise vergleicht die Künstlerin mit der Funktion des Erinnerns, die eine permanente Relektüre des Geschehenen ist. Aus dem jeweiligen Standpunkt sehen Ereignisse in der Vergangenheit möglicherweise nicht nur verändert aus, sondern wurden vom Denkprozess aktiv in eine neue Form gebracht.

 

Zu den Überraschungen in Judith Sauppers aktuellen Arbeiten zählt m. E. die Installation „zUrsprung“ (2015). Das aus fünf Tothölzern zusammengesetzte Objekt verdankt seine formale Lösung einer bekannten Arbeit der belgischen Künstlerin Berlinde De Bruyckere (* 1964), die 2013 auf der 55. Biennale von Venedig erstmals ausgestellt hat und deren Werk aktuell im Kunsthaus Bregenz zu sehen ist: „Cripplewood“ bedeutet im Englischen eigentlich Unterholz, es wird aber besser, weil näher an der Aussage des Kunstwerks, mit „Krüppelholz“ übersetzt. De Bruyckere verweist allgemein und überzeitlich auf Schmerz, Leid, Leben und Tod. Judith Saupper deutete die leblosen Hölzer als ein Symbol von Leere, ja Hilflosigkeit. Am 31. März 2015 schrieb sie: „Verlust der Erinnerung / Verlust der Zeit (auf dem Kopf geschrieben).“ Ergänzt wird das Objekt noch durch eine Serie von collagierten Zeichnungen: „Nach Krüppelholz Provinzbewegung #1-20“ (2015). Hier lässt sich die Vorgehensweise der Künstlerin als ein Aufeinanderprallen von Ordnungsstrukturen und überwuchernden Motiven zusammenfassen. Stehen die Muster für Regelmaß, Klarheit, Gleichheit, so scheinen sich die gewählten Sujets nicht einfach darin einpassen zu lassen. Immer wieder brechen sie die strenge Systematik auf.

 

In Judith Sauppers Arbeit „Glaubensbekenntnisse“ (2015) sind die Leerstellen mit Blutstropfen gefüllt, dazu zerstörte Häuser, eigentümlich raumlose Fenster mit Blut, alles hinterfangen von einem Liniengerüst, das an Höhenlinien erinnert. In Auseinandersetzung mit dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo am 7. Januar des Jahres formulierte Judith Saupper eine Zeichnung, die von dem Wissen kündet, dass solche Überfälle jederzeit und überall stattfinden könnten. Vor diesem Hintergrund ist ihre ironische Heimatfähigkeitsformel dann doch auch nur der trügerische Versuch, sich zwischen Sehnsucht und Illusionslosigkeit auf festem Boden zu bewegen.

 

Festhalten und Aufbruch

„Es existiert nicht, darum erschaffe ich es!“,6 zitiert Judith Saupper auf einer Postkarte vom 11. November 2015 Susan Sontag. Das „Es“ ist die Heimat, der eine Sehnsucht nach Geborgenheit innewohnt. Ob unter ihren Glasstürzen die Wahrheit, eine erinnerte Wahrhaftigkeit, ein subjektiver Eindruck oder auch nur eine Lüge verwahrt wird, ist einerlei. Hauptsache, es sind gute Momente! Die selbst konstruierte Ersatzwelt veranschaulicht den Drang, nur gute Erinnerungen aufzuheben, alles Schlechte unter den Teppich zu kehren. Indem Judith Saupper ihre realen oder fiktiven Erinnerungen unter Glas stellt, sie bewahrt, sie präsentiert, sie manchmal liebevoll abstaubt oder auch verstauben lässt, hält sie sie fest: „Verweile doch ...“ (2015) – der Titel, ein Faust-Zitat. „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehn!“7 – eine Wette mit bekanntlich tragischem Ausgang. Ein Umschreiben der Erinnerung, so ist sich Saupper bewusst, ist nicht mehr möglich, eine Ersatzwelt – wie auch in den hängenden „Faltgedichten / Faltgeschichten“ (2015) – ist vielleicht leicht zu generieren, aber schwer wieder zu verändern. Nur das drachenartige Gebilde „The inbetweens, oder Flughunde als Luftpoeten“ (2015) schwebt über allem. Es ist Symbol für den Moment kurz vor dem Verstehen, jenen Augenblick, wenn die Spannung steigt, das Begreifen schon greifbar scheint und doch noch alles offen ist.

 

Als Flugtier ist es in der Ausstellung in bester Gesellschaft, sind Tiere doch wichtige Motive in Elisabeth Wedenigs Gemälden. Insbesondere Vögel sind die Träger von Bedeutung. An ihnen bewundert sie viele Facetten, ihre Schönheit, Leichtigkeit, Poesie. Ihre Fähigkeit zu fliegen generiert die Symbolik von Freiheit und macht sie zu Überbringern von Botschaften. In der Serie „Vögel und Steine für Christine“ (2015) kombiniert Wedenig Zeichnungen und Gemälde mit Textfragmenten aus Christine Lavants Gedichten: „Über so hauchdünnen Schlaf können nur Vögel gehen“ oder „Schon morgens denk ich dich als Hütte aus“ sind nur zwei Beispiele von elf Arbeiten, in denen die intensiven Sprachbilder der Kärntner Dichterin als Inspirationsquelle und Reflexionsmoment eingesetzt werden. Das Schicksal der schreibenden Bergarbeitertochter aus dem Lavanttal beschäftigt beide Künstlerinnen, denn für sie war die Dichterin in dreifacher Provinz gefangen: „Eine Stimme aus dem regionalen und sozioökonomischen Abseits, eine Stimme einer Frau, eine Stimme eines von physischen und psychischen Grenzerfahrungen gefährdeten Individuums.“8 Ihre Schicksalsergebenheit wollen sie nicht hinnehmen. Die mit Steinschindeln beschwerten Vögel sind dafür eine sinnige Metapher. Als Reibefläche für den Heimatbegriff, als Beleg für große Literatur aus der Provinz ist Lavant jedoch eine gute Wahl.

 

Womit wir wieder bei den Postkarten wären, die sich die Künstlerinnen nun schon seit Jahren regelmäßig zusenden. Auf ihnen teilen sie sich gegenseitig mit, nutzen Worte und Bildbotschaften gleichermaßen. Das Motiv und die Wahl der Briefmarke können von genauso großer Bedeutung sein wie die Nachrichten. Als Bilder öffnen sie ein „Fenster zur Welt“ – wenn auch von einer Provinz in die andere geschickt. Als Mail-Art vermitteln sie ein künstlerisches Weltbild, das mit Hilfe von gefundenen Worten, Zitaten, Metaphern und Vorstellungen, Träumen und Gedanken, Erlebtem und Plänen aufgebaut wird. Widersprüche zwischen den Künstlerinnen? Nähe und Distanz müssen in ein stabiles Gleichgewicht gebracht werden – sowohl in der Freundschaft wie auch im Umgang mit Heimat und Provinz. Auf der Erinnerung aufgebaut und mit der potenzierten Zukunftsvorstellung gepaart, hängt alles doch vom Hier und Jetzt, vom Bauchgefühl, von der Spannung zwischen Hineinkippen und Sich-Distanzieren ab. Egal ob es sich dabei um Fragen des Hinterlandes oder um zwischenmenschliche Beziehungen handelt.

 

 

1) Der Text entstand anlässlich der Ausstellung „LANDVERMESSUNGEN  – Judith Saupper I Elisabeth Wedenig“ in der Galerie bäckerstrasse4 – plattform für junge kunst, 1010 Wien, vom 09.09.–23.10.2015.

2) Als die beiden im Herbst 2012 daran gingen, über eine Zusammenarbeit nachzudenken, kannten sich Saupper und Wedenig seit etwa zwei Jahren.

3) Jacques Rancière, Die Aufteilung des Sinnlichen, Berlin 2006, S. 77.

4) So das Deutsche Etymologische Wörterbuch, http://www.dwds.de/?qu=provinz (letzter Aufruf 07.09.2015).

5) Elisabeth Wedenig im Gespräch mit der Autorin am 07.09.2015.

6) Susan Sontag, Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke. Tagebücher 1964-1980, München 2013.

7) Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Eine Tragödie, Kapitel 7.

8) Kritisches Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, s.v. Christine Lavant.

 

Alexandra Matzner

 

Dressed in Heimat, I Am Waiting behind the Lake

 

Judith Saupper and Elisabeth Wedenig have embarked on a journey in parallel turns. The exhibition title “LAND SURVEYS”,1 the mapping of (un)familiar regions in the plural, is programmatic in several respects. While, in common usage, the word refers to people’s engagement with their environment, to their wish to understand the topography in order to figure out spatial and man-to-nature relationships, Saupper and Wedenig reinterpret the term and take it as a preceding reference to their performative explorations of the provinces. At the end of their path, the provinces finally do not turn out to be a new home/heimat, and their postcard correspondence has turned into a document of artistic exchange. At Bäckerstraße 4 plattform für junge kunst, provincial mail was pinned to the walls, airy poets touched upon Christine Lavant, birds and stones formed a procession … But let us start at the beginning.

 

A Formulaic Land Survey

The idea of working on a common project2 while continuing to live in completely different places, exchanging views and ideas via postcards and remaining stylistically and formally independent of each other, proved a viable method for both artists. Circumstances brought them closer in spite of their physical distance and led to surprising correspondences in their work.

 

“Land Surveys” is the title Saupper and Wedenig chose for their joint presentation. The dialogue between sculptural works and drawings and paintings established in Bäckerstraße 4 plattform für junge kunst transfers their stylistic heterogeneity into a complex weave of different issues: heimat, the province, memory, history and poetic appropriation of the world, to name but a few.

 

The measure of “heimat capacity” is the metre (). The result’s objectivity is only an apparent one, having been complemented by a subjective emotional barometer: for all that, the formula = g describes the “heimat capacity” of places. Derived from the calculation of the prototype metre, g for gravitational acceleration is joined to =. For Judith Saupper, Vienna therefore corresponds to 1 metre 24 centimetres. Villach scores 1.22 m, St. Veit an der Glan only 0.014 m; Hard, on the other hand, reaches a remarkable 3.93 m. As the current exhibition location, Vienna determined the emotional length and is represented with a mural on the façade. Other places from Saupper’s and Wedenig’s “Land Surveys Tour”, an exhibition that toured through the provinces, were and still are checked for their potential. Contemporary artistic life is conceived as a nomadic lifestyle, and experiences of uprooting, new arrivals and localising are the hallmarks of professional life. The importance of memory and mood in the heimat capacity equation becomes apparent in the high amplitude of 4.07 metres for Bildungshaus St. Arbogast in Götzis. It is in Vorarlberg, where Saupper comes from. In the basement, her hanging object “Silhouette (Heimat in Changing Lighting Conditions)” (2015) shows the research results in 3D. The fragile construction is reminiscent of a cabin, a deconstructed, damaged home, and in different lighting conditions it casts shadows of different lengths that are offset in white lines on the floor. Depending on the observer’s perspective, the assigned lengths of “heimat capacity” change once more. Far beyond geographic attempts at recording it, Judith Saupper confronts difficult issues, feelings and states, such as province, heimat bonds, childhood memories and their repercussions on her current life.

 

Experience Art, Future Hope

“Art is political by virtue of sharing (out) a certain space and a certain time, and because the objects it populates this space with and the rhythms it divides this time into determine a specific form of experience that coincides with other forms of experience or breaks with them.”3 (Jacques Rancière)

 

The spaces and experiences Elisabeth Wedenig and Judith Saupper engage with are personal as well as geographic. Over the past two years, they have intensively engaged with the province, surveyed it – that is, captured it for themselves – and written provincial mail. Since the ancient Romans, and in particular from the metropolitan perspective, the province has been considered a “backward region, remote from the social life of cities”.4 The adjective “provincial” describes a backwoods situation, a pastoral, slow life, or outmoded, out-of-date views. Recently, however, slowed-down rural life has come into high fashion – partly from romantic glorification and partly from a melancholic renunciation of urban life. But what are the qualities the backwater can really develop? What individual, artist-specific visual worlds and world images can be generated there? And does it really allow for a “different” life?

 

Even though a mathematical description of Vienna in the shape of a frame of lines decorates the façade, Judith Saupper’s and Elisabeth Wedenig’s art is nevertheless based on field studies; it rests on the sensory quality of spaces. The artists invite their audience to conduct an in-depth research into the essence of the province and approach it in prolonged stays, journeys and pop-up exhibitions, but also through poetry. Both artists come from the province, as the saying goes in Austria, and studied in Vienna. They know the cultural “difference” between the metropolis and the country, which is also reflected in different dialects and technical language. Both had to confront the question of how much of heimat they had left behind with their childhoods.

 

Does the return to the province guarantee rediscovery? Or can a place you enter for the first time already have insinuated itself into dreams, and manifest itself in a feeling of familiarity and arrival? On 28 April 2014, Elisabeth Wedenig wrote: “After a state of waking sleep, I actually found on arrival a place here that I seem to know from a dream. – A mistake in the butterfly’s flight?” In her paintings, the Carinthian painter uses double entendres and ambiguity and moves between moods and descriptions of reality. In the series “I Am Waiting behind the Lake” (2014–2015) she hints at figures, birds, mountains, and allows them to melt into hazy colour at the next moment. She crosses the objective concrete with the disintegrated intangible while reflecting on the possibilities of painting. Gaps, metamorphoses, overlaps mark the figures as artefacts, as naturalist fictions, in spite of their realism. Long observation of the motif and condensation of the subject do not create an overpowering plane but uncover individual layers. The longer she looks at something, the artist explains, the more she becomes aware of structures.5 All seven paintings of the series are formally interconnected. Lines connect individual compositions, motifs are divided, the titles may be read as poetic manifestations by Christine Lavant.

 

“Patterns” (2014) is a series of four drawings by Elisabeth Wedenig on patterned sheets. She had found the image supports from the title, so they are directly from the workshop of a seamstress and thus represent the province on several levels. On the one hand, the patterns primarily refer to manual skill, and their forms imply traditional female dress. Again and again, the artist recorded on her postcards the parameters of life in the provinces. Her statement that the gender of province (as a word) was female may be interpreted as a metaphor for the striking separation of the spheres of life. Women are responsible for the flowers decorating the houses (otherwise there would be talk); men are allowed to go to the village pub, which is decorated with a Playboy calendar. Once you have cultivated this code of behaviour, rehearsed over generations, can you simply leave it freely like a bird? Or will you always be a “country kid”?

 

The romance of a mountain chalet and traditional dress, oxen and ibex as accessories, emotionally lived religion and ancient rites cannot simply be exposed as Austrian myths – they are real and mediated at the same time. Can heimat still be felt in such symbols? Neither Wedenig nor Saupper are prone to simplistic illusion. The gaps in Wedenig’s paintings bear witness to this; they even expand in the series “Procession Images” (2014–2015). The unprimed canvas as well as the traditional fabrics crudely emerge and disrupt the illusion of the image in a rather obtrusive way. Drawings share the same level with painted areas. Two works – “Rural Fertility/the Path to the Hare” and “Rural Fertility/the Path to the Cock” (both 2014) – playfully explore the way in which reproduction as a production process has shaped the landscape and its geographical notation.

 

But Judith Saupper also employs this device: “Dressing in Heimat like a Robe (or The Blind Spots of the Province)” (2014) uses “holes” in the whole in order to highlight the unresolved problems in or with heimat. The opposite of holding on is shown in the six-part series of collaged drawings and prints, titled “(De)Construction of Memory 1–6” (2014). To give memory a new look, Saupper quotes cuts from “Dressing in Heimat like a Robe (or The Blind Spots of the Province)” and places them in a new environment. Starting from this first work, she recombines details, reassembles them and permanently changes the complete picture. The artist compares this procedure to the function of remembering, which is a continued rereading of past events. From each perspective, events in the past may not only appear to be changed, but were actively reshaped in the process of thinking.

 

One of the surprises in Judith Saupper’s current works, in my opinion, is the installation “Origin” (2015). The object, assembled from five pieces of dead wood, owes its formal solution to a well-known work by the Belgian artist Berlinde De Bruyckere (* 1964), which was first exhibited at the 55th Biennale of Venice in 2013, and which is currently on show at the Kunsthaus Bregenz: “Cripplewood” actually means undergrowth, but it is better understood as “crippled wood”, as this is closer to the artwork’s statement. De Bruyckere refers to pain, suffering, life and death in a general and timeless way. Judith Saupper interpreted the lifeless pieces of wood as a symbol of emptiness, of helplessness. On 31 March 2015, she wrote: “Loss of memory/loss of time (written upside down).” The object is complemented by a series of collaged drawings, “After Cripplewood Provincial Movement #1–20” (2015), which allows us to summarise the artist’s procedure as a clash of ordering structures and overrunning motifs. While the patterns stand for regularity, clarity, equality, the chosen subjects seem to refuse simply to fit into them; they keep disrupting the rigid system.

 

In Judith Saupper’s “Professions of Faith” (2015), the gaps are filled with drops of blood, while destroyed houses, strangely spaceless windows with blood, are added, all this backed by a framework of lines invoking contour lines. Responding to the terror attack on Charlie Hebdo on 7 January this year, Judith Saupper formulated a drawing that professes the knowledge that such attacks may happen anywhere at any time. Against this background, her ironic heimat capacity formula is revealed as a deceptive attempt at finding firm ground between longing and a lack of illusions.

 

Holding on and Departing

“It doesn’t exist, therefore I make it!”6 Judith Saupper quotes Susan Sontag in a postcard dated 11 November 2015. The “It” is heimat/home, which implies a longing for a feeling of safety. Whether her bell jars store truth, a remembered truthfulness, a subjective impression or just a lie is not relevant. The main thing is it is good moments! This self-made ersatz world illustrates the urge to keep nothing but good memories, to push anything bad under the carpet. By placing her real or fictional memories under glass, by keeping them, presenting them, lovingly dusting them once again or leaving them to gather dust, Judith Saupper states: “Linger awhile …” (2015). The title is a Faust quotation: “When to the moment I shall say, ‘Linger awhile so fair thou art!’ Then mayst thou fetter me straightway, Then to the abyss will I depart!”7 – a wager with a tragic outcome. Rewriting memory, Saupper knows, is no longer possible; an ersatz world – as in the hanging “Folding Poems/Folding Stories” (2015) – can easily be generated, but may be very hard to change. Only the dragon-like “The Inbetween, or Flying Foxes as Air Poets” (2015) hovers above all. It is a symbol for the moment preceding understanding, the moment of rising tension, when realisation seems to be within reach while everything still remains open.

 

As a flying animal, it is in perfect company in the exhibition, as animals are important motifs in Elisabeth Wedenig’s paintings. In particular birds are carriers of meaning. She admires many of their facets: their beauty, their lightness, their poetry. Their ability to fly generates the symbolism of freedom and turns them into bearers of messages. In the series “Birds and Stones for Christine” (2015), Wedenig combines drawings and paintings with text fragments from Christine Lavant’s poems: “Only Birds Are Able to Walk across Light Sleep Such as This” or “Early in the Morning I Invent You as a Cabin” are but two examples of eleven works in which the intense linguistic images of the Carinthian poet are used as a source of inspiration and as a moment of reflection. The fate of the writing miner’s daughter from the Lavant valley preoccupies both artists – to them, she is imprisoned in the province in three ways: “A remote voice in a regional and socio-economic sense, the voice of a woman, a voice of an individual vulnerable to physical and psychological borderline experiences.”8 Her acceptance of fate is something they refuse to accept. The birds weighed down with slates are an apt metaphor. As a source of friction with the concept of heimat, as a proof of great literature from the province, however, Lavant is a perfect choice.

 

Which brings us back to the postcards the artists have been sending to each other for years. On them, they communicate with each other, using words as well as pictorial codes. The motif and the choice of stamp can be as important as the message. As images, they open a “window to the world” – though sent from one province to the other. As mail-art, they convey an artistic image of the world, which is created using found words, quotations, metaphors and ideas, dreams and thoughts, experiences and plans. Are there contradictions between the artists? A stable balance between proximity and distance needs to be achieved – in friendship as in dealing with heimat and province. Built on memory and coupled with an amplified image of the future, everything still depends on the here and now, on gut feeling, on the tension between letting go and distancing, whether the issue is questions of hinterland or human relations!

 

 

1) This text was occasioned by the exhibition “LAND SURVEYS – Judith Saupper | Elisabeth Wedenig” at Galerie Bäckerstraße 4, 1010 Vienna.

2) When the pair started to think of a cooperation in autumn 2012, Saupper and Wedenig had known each other for roughly two years.

3) Jacques Rancière, Die Aufteilung des Sinnlichen. Berlin, 2006, p. 77 (Translator’s note: the relevant chapter is not included in the English translation, The Aesthetics of Politics).

4) According to the Deutsches Ethymologisches Wörterbuch, http://www.dwds.de/?qu=provinz (last accessed 7 September 2015).

5) Elisabeth Wedenig interviewed by the author on 7 September 2015.

6) Susan Sontag, As Consciousness Is Harnessed to Flesh: Journals and Notebooks, 1964–1980. New York 2012.

7) Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Part I. The Harvard Classics xix, 1909–14.

9) Kritisches Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, s.v. Christine Lavant.