Ausstellungsansicht / exhibition view; St. Veit a. d. Glan, Dachboden Zahntechnik / dentistry attic; Elisabeth Wedenig: Dieser Vogel verpfeift dich nie wieder
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Nina Schedlmayer
Die Landvermessungen und die Provinzpost: ein Projekt von Judith Saupper und Elisabeth Wedenig
Dass sich Ausstellungen über die ihnen zugedachten räumlichen Habitate ausbreiten, hat eine gewisse Tradition. Spätestens seitdem der heutige Starkurator Hans-Ulrich Obrist 1991 in seiner Zürcher Wohnung die wohl berühmteste Küchenausstellung der Welt eröffnete, ist klar geworden: Kunst findet ihre Orte auch jenseits von Galerien, Ausstellungshäusern und Museen.
Insofern wäre die Tatsache, dass sich Judith Saupper und Elisabeth Wedenig mit ihren „Landvermessungen“ auf die Suche nach unkonventionellen Orten zur Kunstpräsentation begaben, noch nicht außergewöhnlich. Doch unkonventionell sind nicht nur die Orte, sondern auch das Publikum. Wenn die Künstlerinnen ihre Werke auf Bundesländertournee schicken und sie an scheinbar völlig ungeeigneten Plätzen für wenige Stunden zeigen, dann treffen sie zumeist auf ganz andere BesucherInnen als jene, die sich in den üblichen Kunsträumen herumtreiben.
Deren Reaktionen, zwischen Neugier und Unverständnis pendelnd, notieren die Künstlerinnen in einer Art Tagebuch. Da treffen die Künstlerinnen auf eine „Landjugend, die man nicht einschätzen kann – Langsamkeit: im Kopf und in den Gliedern“. Dann kommt eine Dame vorbei, und zwar nur „um zu sagen, dass sie sich eigentlich nicht für Kunst interessiert.“ Andere Gäste „stellen teilweise hausbackene Fragen, die wir uns auch tagtäglich stellen.“ Oder das Publikum möchte wissen, was „das mit den Vögeln ist. Sie werden untersucht. Die kleinen am Förderband von den alten Damen in die Hand genommen und wieder falsch platziert“ (gemeint sind Elisabeth Wedenigs kleinformatige Gemälde von Vögeln, die in einem Sägewerk gezeigt wurden). Und ein „ehemaliger Politiker setzt sich fast aufs Bild und stürzt beinah einen Glassturz.“
Wenn die Kunst ihre engen Kreise verlässt und sich in andere – hier: ländliche – Kontexte begibt, geht sie ein nicht kalkulierbares Risiko ein. Saupper und Wedenig verfolgen keineswegs aufklärerische oder kunstpädagogische Ziele. Ihr Interesse gilt eher der Beschaffenheit jener Zusammenkunft von Kunst und kunstfernem Kontext. Diese spiegelt sich auch in den Zeitungsartikeln, die – angeblich – in Blättern wie der Vorarlberger „Neuen Tageszeitung“, den „Unterkärntner Nachrichten“ oder der „Steirerkrone“ erschienen sind, denn dass hier keine professionellen KunstkritikerInnen am Werk sind, wird bald ersichtlich.
Abgesehen davon, dass Kunst hier vom Publikum anders rezipiert wird als in Galerien, Ausstellungshäusern und Museen, tritt sie auch ganz unterschiedlich auf. Da lehnen Wedenigs Gemälde, als sie am Ossiacher See ein Gastspiel geben, an einem eingepackten Boot oder hängen an einer offenbar provisorisch aufgespannten Leine.
Später, als die vazierende Ausstellung auf den Dachboden einer Zahnklinik weitergezogen ist, hängt ein anderes Bild der Künstlerin direkt über alten Elektrogeräten aus den 1970er-Jahren. Daneben trägt ein oranges Metallgerüst Sauppers kleinformatige Collagen. In der Festhalle Glanegg breitet sich eine ihrer Zeichnungen auf zusammengeschobenen Bierbänken aus. Sogar in einem Kuhstall, auf unverputzten Wänden, werden Bilder präsentiert, und auch ein Sägewerk haben die Künstlerinnen als Ausstellungsort gewählt: Wedenigs Gemälde liegen auf Holzlatten, Sauppers Glasstürze stehen auf roh behauenen Holzzylindern und großen Maschinen. In einem Bauernhaus in Vorarlberg hängen Sauppers Collagen auf einer Tapete mit nicht näher definierbarem Muster, umgeben von geblümten Vorhängen und einer Schnürlsamtcouch, und ein Gemälde von Elisabeth Wedenig balanciert auf einem Nachtkästchen, das auf braunem Teppichboden platziert ist. Im Vergleich zu diesen Orten geht der „Moorraum“ in Krumbach mit seiner schlichten, coolen Architektur schon beinahe als White Cube durch. Innerhalb weniger Tage werden die Kunstwerke jeweils unterschiedlichen Settings ausgesetzt. Dadurch erscheinen sie teilweise selbst von Station zu Station verändert. Tatsächlich meinten manche Gäste, die mehrere der Ausstellungen besuchten, neue Werke zu entdecken – die sie aber in Wirklichkeit bereits anderswo gesehen hatten. Manchen wurde auch erst auf Nachfrage bewusst, was nun Kunst ist und was nicht: So hielt etwa jemand die Deckenbeleuchtung einer Sauna für ein Kunstwerk, als die Schau dort gastierte.
Die Kontextkunst und die Institutionskritik reflektierten, vor allem ab den 1980er-Jahren, die Wechselwirkungen von Kunstwerk und Umgebung. Wenn Louise Lawler in ihren Fotografien darstellte, wie ein Pollock-Gemälde in großbürgerlicher Umgebung neben einer protzigen Suppenschüssel landet, oder wenn Andrea Fraser Texte aus den Museumsguides ironisierte, dann bewegte man sich in den angestammten Terrains der Kunstwelt. Saupper und Wedenig verlassen diese. Wie sehen Zeichnungen vor den Schiefertafeln des Aufenthaltsraums in einem Flüchtlingsquartier oder in einer Sauna mit sagenhaft hässlichen Fliesen aus? Ihre Kunstwerke erscheinen wie exotische, fremdelnde Gäste, die nicht vorhaben, lange zu bleiben.
Die Ironie liegt darin, dass sie dies genau dort tun, wo gemeinhin am ehesten Heimatgefühle vermutet werden: in der sogenannten Provinz. Diese erlebt aktuell einen merkwürdigen Hype, und zwar quer durch die politischen Lager. Aufwendig hergestellte Hochglanzmagazine preisen Brauchtum und Naturverbundenheit, KolumnistInnen schildern ihren Lifestyle am dörflichen Zweitwohnsitz, und sogar die Literatur hat, so scheint es, dem Anti-Heimatroman zugunsten eines neuen Genres abgeschworen – zumindest wenn man Sigrid Löffler folgt, die 2012 im „Falter“ zu Vea Kaisers Bestseller „Blasmusikpop“ trocken bemerkte: „Die neuen Provinzromane, die überall ins Kraut schießen, wetteifern um den noch avancierteren, noch unschuldigeren Heimatbegriff.“
Wie verloren man sich in der vermeintlichen Heimat fühlen kann, das lässt sich der „Provinzpost“, die Saupper und Wedenig seit 2013 austauschen, entnehmen. Auf Postkarten – mittlerweile haben sich rund 400 davon angesammelt, die Korrespondenz wird fortgesetzt –, die nicht unbedingt mit den jeweiligen Aufenthaltsorten der beiden Künstlerinnen zu tun haben müssen, notieren sie Gedankensplitter und Eindrücke, Ideen und Fragen, häufig durchsetzt von Zitaten. „Es gibt Wettbewerbe in Bezug auf die schönsten Blumenkästen, den gepflegtesten, schönsten Rasen und das beschmückteste Grab. Macht man nicht mit, gibt es schlechte Nachreden“, schreibt Wedenig am 27. Jänner 2014 an Saupper. Am 18. November desselben Jahres notiert sie: „In der Provinzhauptstadt träumt man von der ländlichen Idylle – Landhausküche usw.“ Die „Provinzpost“ besteht aus Momentaufnahmen, die für Außenstehende auch auf einer poetischen Ebene lesbar sind. „PASS Ï Auf HIER AUF DEINE GEDANKEN: DIE WINDEN SICH WIE ALTE PASSSTRASSEN & VERLIEREN SICH AM ENDE IM (STAU)SEE“, heißt es etwa auf einer Postkarte Sauppers. Reproduktionen einiger ausgewählter Ansichtskarten, auf der Rückseite mit zumeist poetischen Statements beschrieben, lagen in den Ausstellungen auf, zur freien Entnahme für (schreibfaules?) Publikum. Saupper und Wedenig verweisen in diesem Zusammenhang auf Jacques Derridas Buch „Die Postkarte. Von Sokrates bis an Freud und jenseits“, in dem von der „Tragik der Verspätung“ die Rede ist. Und so, wie die Postkarte einer verzögerten Kommunikation entspricht, so werden die kurzzeitigen Ausstellungen häufig schon dann abgebrochen, wenn man gerade erst von ihnen erfahren hat.
Saupper und Wedenig blicken weder mit einem idyllisierenden noch mit einem abfälligen Blick auf die Provinz, sondern mit einer gewissen Nüchternheit, gepaart mit Ironie. Diese kann sich freilich auch gegen sich selbst wenden – etwa wenn Saupper mittels einer nicht ganz unkomplizierten Formel die jeweilige „Heimatfähigkeit“ ihrer Ausstellungsorte berechnet. Die Fremdheit im vermeintlich Vertrauten muss nicht unbedingt heimelig gemacht werden, und Widersprüche können durchaus unaufgelöst bleiben.
Bilderserien
Vögel und Steine für Christine
Prozessionsbilder und Schnitte
Nina Schedlmayer
On the strangeness in the familiar “Land Surveys” and “Provincial Mail” by Judith Saupper and Elisabeth Wedenig
Exhibitions spreading beyond their intended habitats are something of a tradition: since Hans-Ulrich Obrist, now a star curator, opened a now-famous kitchen exhibition in his Zurich apartment in 1991, we have known that art can also find its place beyond galleries, exhibition spaces and museums.
In itself, the fact that Judith Saupper and Elisabeth Wedenig went looking for unconventional places to present art with their “Land Surveys” would therefore be unremarkable. But it is not only the places that are unconventional, but also their audience. When the two artists send their work on a tour of the provinces and show it for a few hours in usually completely unsuitable venues, they tend to encounter completely different crowds to those that hang around the usual art spaces.
The audience’s reactions, oscillating between curiosity and incomprehension, are recorded in a kind of diary. The artists meet a “country youth who is hard to figure out – slowness: mental and physical”. Then a lady passes by, but only “to say that she really is not interested in art”. Other guests “ask somewhat simple questions we ask ourselves every day, too”. Or the audience wants to know what “the thing with the birds is. They study them. The small ones on the conveyor belt are taken up by the old ladies and put back in the wrong place” (referring to Elisabeth Wedenig’s small-format paintings of birds that were shown in a sawmill). And a “former politician nearly sits down on the painting and all but overturns a bell jar”.
When art abandons its small circles and ventures into different – here, provincial – contexts, it takes incalculable risks. Saupper and Wedenig certainly do not have any educational or art pedagogical aims. Rather, they are interested in the texture of this kind of encounter between art and contexts unrelated to art. This is also reflected in the newspaper articles that supposedly were published in provincial newspapers like the Vorarlberg “Neue”, the “Unterkärntner Nachrichten” or the “Steirerkrone”: one quickly realises that they are not the work of professional art critics.
Apart from the fact that this audience’s approach to art is different from the one in galleries, exhibition spaces and museums, the art also behaves differently. At a guest performance at Lake Ossiach, Wedenig’s paintings rest against a wrapped boat or a seemingly temporarily stretched rope.
Later, after the vagrant exhibition has moved on to the attic of a dental lab, another of the artist’s paintings is hung above 1970s electrical appliances. Beside it, an orange metal frame supports Saupper’s small-format collages. In the Festhalle Glanegg, one of her drawings unfolds on a cluster of ale-benches. Paintings are even presented in a cowshed, on unplastered walls, and the artists found an exhibition space in a sawmill: Wedenig’s paintings lie on top of wooden slats, while Saupper’s bell jars are placed on roughly hewn wooden cylinders and large machines. In a Vorarlberg farmhouse, her collages are hung on wallpaper of an undefined pattern, surrounded by flowery curtains and a corduroy couch, and one of Elisabeth Wedenig’s paintings is balanced against a nightstand placed on a brown carpet. Compared to these locations, the “Moorraum” in Krumbach, with its sober, cool architecture, might pass for a white cube. For a few days each time, the works of art are exposed to very different settings, seemingly changing from stop to stop. In fact, some guests who came to several exhibitions thought they had discovered new works, when they had actually seen them somewhere else. Also, some had to ask to find out what was art and what was not. For example, one person thought the ceiling light of a sauna was a work of art when the exhibition stopped there.
Beginning in the 1980s, Context art and Institutional Critique reflect the interplay between the work of art and its surroundings. If Louise Lawler’s photographs showed how in an upper-class setting a Pollock painting ends up beside a showy soup bowl, or when Andrea Fraser ironically presents the context of museum guides, these works remain well within the traditional fields of the world of art. Saupper and Wedenig leave them behind. What do drawings look like in front of the blackboards of the common room of refugee accommodation or in a sauna with fabulously ugly tiles? Their works of art appear like exotic, strange guests who do not plan on staying long.
The irony is that they do this in the exact places where we usually suspect the strongest sense of belonging: in the so-called provinces. Across all political camps, there is a strange hype surrounding the provinces at the moment. Sophisticated glossy magazines praise tradition and natural life, columnists describe their lifestyle at their country home, and even literature seems to have renounced the anti-heimat novel in favour of a new genre – at least if we believe Sigrid Löffler, who drily remarked in Falter magazine in 2012, with regard to Vea Kaiser’s bestseller “Blasmusikpop”: “The new provincial novels running riot everywhere compete for an ever more advanced, ever more innocent concept of heimat.”
We can read about the feeling of being lost in this supposed heimat/home in the “Provincial Mail” Saupper and Wedenig have exchanged since 2013. On postcards – there are now around 400 of them, and the correspondence continues – which do not necessarily have any link with their current location, they note their thoughts and impressions, ideas and questions, often intermingled with quotations: “There are competitions for the most beautiful flower boxes, the neatest, most beautiful lawn and the best decorated grave. If you don’t participate, there will be talk,” Wedenig writes to Saupper on January 27th 2014. On November 18th of the same year, she notes: “In the provincial capital people dream of a rustic idyll – country kitchen and all.” “Provincial Mail” consists of snapshots that outsiders can read on a poetic level: “MIND YOUR THOUGHTS HERE: THEY WIND LIKE OLD MOUNTAIN PASS ROADS & IN THE END LOSE THEMSELVES IN A (BARRIER) LAKE,” reads one of Saupper’s postcards. Reproductions of a selection of picture postcards, mostly with poetic statements on their backs, were available in the exhibitions, free to use for the (lazy?) audience. Saupper and Wedenig refer to Jacques Derrida’s book “The Post Card: From Socrates to Freud and Beyond”, which addresses the “tragedy of delay”. And in the same way a postcard is delayed communication, the short-time exhibitions are often abandoned when you have only just heard about them.
Saupper and Wedenig do not regard the provinces with an idyllic or a disparaging eye, but with a kind of soberness combined with an irony that can also turn against itself – for instance, when Saupper calculates the “heimat capacity” of her exhibition spaces using a rather complicated formula. The strangeness in the supposedly familiar does not necessarily have to be tamed, and contradictions may sometimes remain unresolved.
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