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Ulli Sturm

Bilder aus und in eine Welt –
oder wie Elisabeth Wedenig den Wänden Flügel verleiht

Fantastisch und eigenwillig sind die Bilder der Künstlerin und sie erzählt mit ihnen unzählige Geschichten rund um die menschliche Figur, um Wirklichkeit, Traum und Erinnerung. Immer gelingt es ihr einen unvergleichlichen Kosmos auf die Leinwand zu zaubern, der die üblichen Sehgewohnheiten herausfordert und den Betrachter mitnimmt auf eine Reise voller Illusion, Imagination und Reminiszenz. Aktuell setzt sich die Kärntner Künstlerin im Museum des Nötscher Kreises mit den 1938/1939 von den Nationalsozialisten abgeschlagenen Fresken von Anton Kolig im Landhaus in Klagenfurt auseinander.


1980 in Sankt Veit an der Glan geboren studierte Elisabeth Wedenig Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Hubert Schmalix und Amelie von Wulffen und hat sich seither - wie einige ihrer Generation - ganz der konkreten Malerei und dem Tafelbild verschrieben. Sie reiht sich damit ein in eine Gruppe von jungen österreichischen Künstler*innen, deren malerische Arbeiten um Realismus und Figuration kreisen und die sich einer neuen Leichtigkeit im Umgang mit dem Genre Malerei bedienen. Nicht mehr die Rebellion gegen das Diktat der Abstraktion steht bei dieser gegenständlichen Kunst im Vordergrund, sondern vielmehr ist sie eine malerische Reaktion auf eine überbordende Bilderwelt, die alle technischen und medialen Möglichkeiten längst ausgeschöpft hat und unseren Alltag prägt.


Von geheimnisvollen Zwischenwelten spricht Anja Werkl (Nachtschattenschläfer und andere ribiselgefärbte Erinnerungen, EDITION DISPOSITIV, 2011) in einem Katalogtext über die Arbeiten von Wedenig und genau in diesem Kontext kommt der „Gegenentwurf zur realen Welt“, den uns die Malerin liefert, ins Spiel. Wedenig geht es nicht darum die Wirklichkeit abzubilden – das ist in Zeiten von Millionen hochgeladenen Handyfotos längst obsolet – sondern ihr etwas hinzuzufügen, sie um Facetten ihrer Gedankenwelt zu bereichern. Ihre Kompositionen setzen sich meist aus unterschiedlichen Teilen, aus Zitaten, Fotografien, Traumsequenzen und ihren eigenen Erinnerungen und Wahrnehmungen zusammen. Die einzelnen Bildelemente ordnet sie neu, verzerrt und überlagert sie, verdeckt oder entwickelt sie weiter und lässt daraus eine enorme bildnerische Vielfalt entstehen. Sie zeigt was ihre subjektive Bildwelt ausmacht und wie sie sie in Malerei übersetzt, indem sie Altes durch Neues ergänzt und Realem Erträumtes gegenüber stellt.


Die Wahl ihrer Themen und ihre Herangehensweisen ist dabei so vielfältig und anspruchsvoll wie die künstlerischen Mittel die sie verwendet. Ihr primäres Medium ist die Malerei mit Öl und Acryl, wobei unverkennbar ist, dass dem Grafischen eine wirklich nicht unbedeutende Rolle zukommt. Die Zeichnung ist in ihrem Œuvre bedeutend mehr als eine Vorstufe oder Skizze. Als begabte Zeichnerin – seit Kindertagen – dient das Zeichnen ihr als Visualisierung von realen Eindrücken und fantastischen Tagträumen. Sie hält in Reise- und Traumtagebüchern mit dem Bleistift fest, was sie an inneren und äußeren Momenten berührt und in ihren klein- und großformatigen Bildern behaupten sich die gezeichneten Passagen selbstbewusst neben dominanteren malerischen Bildelementen. Der Strich definiert das Motiv, gibt der Idee und dem Gedanken die Form und strukturiert gleichzeitig die Bildfläche. Wedenig verzichtet dabei bewusst auf eine zentrale Perspektive, vielmehr entstehen ihre narrativen Bilder aus dem Bauch heraus. In einem langen Malprozess lässt sie sich treiben und nimmt sich die Freiheit der Geschichte ihren Lauf zu lassen. Die Hand folgt dem Kopf und Schritt für Schritt, Schicht für Schicht, wachsen die unterschiedlichen Motive auf der Leinwand zu einem großen Ganzen zusammen. Es ist nicht leicht festzumachen, welche Motivik eigentlich im Mittelpunkt ihrer Arbeiten steht. Gefühlsmäßig würde man vielleicht dazu tendieren der menschlichen Figur eine zentrale Rolle zuzusprechen, aber angesichts der Vielfalt an Tierdarstellungen, der Opulenz einer üppigen Pflanzenwelt und dem unvermittelten Auftauchen von fantastischen Mischwesen, fällt eine Entscheidung letztlich schwer.


Vielleicht auch deshalb, weil Elisabeth Wedenig Reales, Erfundenes und Allegorisches ineinander verschwimmen lässt und abstrakte und gegenständliche Motive sich frei auf der Malfläche bewegen dürfen. Durch einen ständigen Wechsel der Perspektive macht sie die Leinwand zu einer unendlichen Projektionsfläche. Augenscheinlich ist auch immer wieder das Konzept und der Mut der Künstlerin zum Unvollendeten, zum explizit Fragmentarischen. Die ungrundierte Leinwand ist für sie der ideale Bildraum für die Zeichnung. In gebündelten schnell und gekonnt gesetzten Strichen nimmt das Motiv – oder Teile davon – Gestalt an. Mit Pinsel und Farbe hebt sie oftmals nur einzelne Teilbereiche hervor, setzt Akzente und verstärkt die Plastizität. Unkonventionell und keiner Logik folgend belässt sie einzelne Bildteile ganz farbfrei und gibt den Blick frei auf die Zeichnung und damit auf eine Leichtigkeit und Transparenz, die dem Betrachter scheinbar eine Tür zum Entstehungsprozess ihrer Bilder öffnet.


Doch wer versucht die Gedanken- und Motivwelt der Künstlerin zu enträtseln, hat schon verloren. Wozu auch das Rätsel lösen? Liegt nicht genau darin ein Teil der Anziehungskraft und des Reizes ihrer Arbeiten? Auch wenn wir darauf konditioniert sind, alles verstehen zu wollen und jedem ersichtlichen Motiv einen Kontext zuzuordnen, können wir lernen, dass Wedenigs Bilder deshalb so reizvoll sind, weil sie exakt mit dieser >Verweigerung des Erklärbaren< spielt. Trotz der Tatsache, dass manche Szenen eindeutig lesbar sind, reißt der Erzählfaden immer wieder ab und es knüpfen sich neue Assoziationen, die unser Sehen und Denken vor sich hertreiben. Das Geheimnisvolle ihrer bildnerischen Erzählungen wird nicht zuletzt auch durch die Poesie ihrer Bildtitel unterstrichen. Mit poetisch-lyrischen Sprachbildern lässt die Künstlerin zusätzliche ganze Welten von Bildern im Kopf entstehen.


Schon seit ihrer Abschlussarbeit an der Akademie, bei der sie sich mit der Erinnerung an ihre verstorbene Großmutter auseinander gesetzt hat, ist die Reminiszenz - in allen erdenklichen Formen - ein Teil ihrer künstlerischen Arbeit. Fast ist man versucht diese spezifische Art der Erinnerungskultur als ein ihr wichtiges künstlerisches Forschungsfeld zu bezeichnen. Deshalb liegt der Auftrag, sich künstlerisch den nicht mehr erhaltenen Fresken Anton Koligs zu widmen, nahe. Ein ganzer Raum im Museum steht ihr für diese Hommage an einen der großen Vertreter der klassischen Moderne aus Kärnten zu Verfügung. Allein schon die bewegte Geschichte rund um die Entstehung, den Protest, die Verhüllung und letztlich die 1938/1939 erfolgte Abschlagung der Fresken auf Drängen der Nationalsozialisten und sogenannter heimattreuer Verbände, hat mit Erinnern – und zwar mit einer Art von kollektivem Erinnern – zu tun. Hinzu kommt die rein formale Auseinandersetzung mit den zerstörten Wandbildern, die nur als Reproduktionen in Schwarz-Weiß-Fotos erhalten geblieben sind. Eine Herausforderung, der die Malerin mit einer Bilder-Installation begegnet, die es ihr ermöglicht auf einzelne Darstellungen Koligs direkt Bezug zu nehmen und ihrer eigenen künstlerischen Sprache Gehör zu verschaffen.


Die Werkgruppe wird von einem raumgreifenden Objekt und großformatigen klassischen Tafelbildern bestimmt. Wandfüllend und monumental wirkt die farbliche Neu-Interpretation von Koligs Hessischem Bauernpaar, einem Motiv das ursprünglich an das Stifterland Hessen-Nassau – der 1929 in Auftrag gegebenen Landhausfresken – erinnern sollte. In kräftigen pastosen Farben, die typisch für das Kolorit Wedenigs sind, zeigt das Bild ein Bauerpaar, das sich über einen offenen Kindersarg beugt. Figurativ-erzählerisch setzt Wedenig die Vorlage um und vermittelt neben der Wiedererkennbarkeit ihre ganz eigene Interpretation der Szenerie. Als zentrales Objekt – schräg in der Mitte des Raumes positioniert – fungiert eine Art Paravent mit dem Titel Flügelwand, der mit seinen gekippten Wänden aus Pressspanplatten und Leinwänden deutlich macht, wie die Künstlerin neue visuelle Zugänge zur Präsentation von Malerei findet. Hat sie damit doch schon mit der collageartigen Inszenierung aus dem Raum gefallen, bestehend aus mehreren Leinwänden, in der Galerie 3 begeistert. In Nötsch inszeniert sie ein Gesamtkunstwerk um - wie sie selbst sagt - der Geschichte der Koligfresken, vom Entwurf über die Ausführung bis hin zur Verhüllung und Zerstörung, Rechnung zu tragen.


Die Vorder- und Rückseiten des Paravents zeigen Reflexionen zu zwei Wandmalereien Koligs, die in Reproduktionen im Raum zu sehen sind: Liebespaare und Sänger und Aufblickende Gestalt und aufschwebender Genius. Für die Künstlerin ist die Auswahl dadurch bestimmt, dass alle Sujets im weitesten Sinne von Liebe und Tod erzählen. Mit Kreide und Buntstiften entwirft sie die Figuren und ergänzt die Darstellung mit der eingeschobenen Leinwand mit der Liebe der Füchse, bei der das Liebespaar von einem Fuchs begleitet wird. Ergänzt werden die Dargestellten von Vogelbildnissen, die die Komposition nach oben führen und auch in das Bild Im Aufwind sind ihm Federn gewachsen münden. Wie schon so oft sind es die Tierdarstellungen, die bei den Arbeiten von Elisabeth Wedenig den emotionalen und zugleich irritativen Part übernehmen. Gut zu erkennen anhand einer weiteren vorgelagerten bemalten Platte, bei der der Kopf eines Sängers zum Vogel und dieses Mischwesen zur Metapher für Gesang wird. Der Fuchs steht für sie für das Haptische der Umarmung, die Vögel sollen auf das erhebende Gefühl verweisen und die Poesie der Bildtitel tut das Übrige.


Die Rückseite des Objektes zeigt ausgewählte Details aus der Darstellung des Aufschwebenden Genius und des Hessischen Bauernpaars und Bilder wie Gedanken wie weiße Pferde nehmen die Motive des sitzenden Mädchens und des Pferdes auf. Im Mittelteil der Rauminstallation kippt eine Leinwand nach vorne und zeigt den Aufschwebenden, der von Vögeln begleitet und zum Teil überdeckt wird. Auf den Plattenwänden reihen sich drei Aquarellskizzen aneinander, die fragmentarisch Ausschnitte aus den drei Vorlagen zeigen. Als verbindendes Element fungiert in der Zusammenschau die Darstellung des Vogels, den die Künstlerin als Boten für Liebe und Tod sehen will. Ein Davor und Dahinter, ein Ineinanderfließen und Überschneiden von Motiven von Zeichnung und Malerei führt uns Wedenigs Flügelwand im Museum des Nötscher Kreises vor Augen. Wo zitiert sie Anton Kolig, wie übersetzt sie seine vor beinahe hundert Jahren entstandenen Bilder? Welche Geschichten erzählt sie den Betrachter*innen und welche neuen Sinnkoppelungen tun sich auf?


Eines steht fest, nichts in dieser Inszenierung ist dem Zufall überlassen. Die Motivik Koligs nimmt sie ebenso ernst, wie die historischen Fakten zur Geschichte der Wandmalereien. Mit maximaler Freiheit – und ganz im Kontext ihrer Werkserien – setzt sie die Farben maximal expressiv ein und sogar das Abschlagen der Fresken findet ein passendes Echo, indem sie sieben kleine bemalte Betonbruchstücke als Malgrund verwendet und einzelne Details der drei Szenerien so zu Hauptdarstellern macht.


Elisabeth Wedenig antwortet nicht nur auf die Bildvorlagen, sondern spielt auch mit der Rezeption der Betrachter*innen, mit deren Wahrnehmung und Fantasie. Sie lässt uns Eintauchen in eine Vergangenheit, die uns fremd und doch vertraut ist, und führt uns gleichzeitig in die Malerei von heute. Mit sicheren Linien und ausdrucksstarken Farben, die mehr dem Träumen als der Wirklichkeit entsprungen zu sein scheinen, fügt sie den Motiven des Nötscher Malers ganz neue zeitgenössische Aspekte hinzu. Der Raum selbst wird bei ihr zum Protagonisten und auch damit schafft sie eine Assoziation zum Koligsaal im Klagenfurter Landhaus.


Das Reisen – real und im Geiste – ist für Elisabeth Wedenig eine wesentliche Grundlage für ihre künstlerische Arbeit. Sie nähert sich den Dingen, die sie malt und zeichnet auf vielfältige Art und Weise, indem sie sie emotional, träumerisch, formal und intellektuell erfasst und hinterfragt. Nur so ist es ihr gelungen, die Malerei von Anton Kolig in ihre Bildwelt zu übersetzen und dabei so viel Respekt, Eigenwilligkeit und Schönheit zum Ausdruck zu bringen. Scheinbar mühelos gelingt es ihr, einen künstlerischen Bogen zu spannen, der von einer Welt in die andere führt und ganz nebenbei zeigt sie uns auch noch, wie man Wänden Flügel verleihen kann.


Anlässlich der Ausstellung "REFLEXIONEN" im Museum des Nötscher Kreises, 2020

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