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Anja Werkl

Phantasie – Erinnerung – Traum – Wirklichkeit.
Zu den Arbeiten von Elisabeth Wedenig

Für die Malerei der Gegenwart ist festzuhalten, dass sie entgegen mancher Visionen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bestand hat. Zu vorschnell wurde das endgültige Aus der Gattung proklamiert. Das Ende der Malerei1 entpuppt sich aus heutiger Sicht als Floskel der Vergangenheit. Versuche einer institutionsgebundenen Wiederbelebung der Malerei als Kompensation für den durch das Aufkommen der Neuen Medien vollzogenen Bedeutungswandel, der für die Malerei mit einem Verlust der Spitzenposition unter den traditionellen Kunstgattungen einherging, erwecken den Verdacht einer Verfolgung kommerzieller Interessen.

Besonders seit Anfang des neuen Jahrtausends lässt sich ein reges Interesse des amerikanischen Kunstmarktes am sozialistischen Realismus der Leipziger Schule und der nachfolgenden Generation der Neuen Deutschen Malerei feststellen.2 Wenn Werke von Neo Rauch bereits verkauft sind, bevor sie noch gemalt wurden3, zeugt dies von einem Primat marktstrategischen Handelns innerhalb des Kunstfeldes, welches die Intentionen der Künstler selbst und manche kunsttheoretische Position in Frage stellt. Dass der Neoliberalismus heutiger Zeiten auch vor dem Kunstbereich nicht Halt macht, scheint in Anbetracht der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung nahezu logische Folge zu sein.


Mit Blick auf die zeitgenössische Kunstproduktion lässt sich nichtsdestoweniger feststellen, dass das Malen vielen jungen KünstlerInnen noch immer ein – entgegen kommerziellen Vorstellungen – in erster Linie künstlerisches Anliegen ist. Auch wenn in renommierten Ausstellungshäusern der Gegenwart installative Arbeiten ihren Siegeszug feiern, Video, Fotografie, Computer- und Netzkunst im Ausstellungskanon ihren Platz an der Sonne gefunden haben, bleibt unleugbar, dass es kontinuierlich KünstlerInnen gab und gibt, die sich in erster Linie als MalerInnen verstehen.


Elisabeth Wedenig ist zu einer Generation junger österreichischer MalerInnen zu zählen, welche die klassischen Probleme der Moderne (Abstraktion vs. Figuration; Reproduktion vs. Originalität) post-postmodernistisch4 in ein Sowohl-als-Auch auflöst. Eine Mehrzahl heute produzierender MalerInnen beschäftigt sich nicht mehr damit, vermeintliche Grenzen der Malerei auszuloten, sondern malt einfach Bilder. Interessant dabei ist die Frage danach, wie ein Bild im Akt des Malens entsteht, wobei die Antworten so vielzählig sind wie die diversen künstlerischen Handschriften und Zugangsweisen.


Bezeichnend für einen Teil der österreichischen Malerei der jungen Generation ist die Orientierung an der Auslotung des Verhältnisses von sichtbarer Realität und Fiktion, wie die Ausstellung HangART-7 Edition 15 2010 in Salzburg gezeigt hat. Vornehmlich waren figurativ-erzählerische Positionen zu finden, die, wie im kuratorischen Kataloggrußwort Lioba Reddekers beschrieben, eher als "Annäherung an die Wirklichkeit" denn "als Definition und Dokumentation" der Realität zu verstehen sind.5 Die Bildwelten der in der Ausstellung versammelten MalerInnen sind vornehmlich von inneren Bildern getragen, deren Quellen Kindheitserinnerungen oder auch Bilder massenmedialer Verbreitung sind.


Auch in der Motivwelt Elisabeth Wedenigs spielen Erinnerungen, assoziierte Blicke, Träume, Phantasien und Versatzstücke aus der Realität eine Rolle, wobei zu einem beachtlichen Teil das Unbewusste die Bildentstehung lenkt.


Die Serien Kubahaus (2006) und Soucouyant (2007) entstanden auf Reisen, welche die Malerin nach Kuba und auf die Insel Tobago führten. Hier fertigte Wedenig aus einer Motivwelt, die sich ihr vor Ort bot, Zeichnungen und auch kleinere Werke in Öl. Viele der zum Teil skizzenhaften Arbeiten wurden als Pleinairmalerei unter freiem Himmel ausgeführt, wobei die Mehrzahl der Darstellungen Wedenigs ethnographischen Blick zu erkennen gibt. Während nun einerseits kulturelle Besonderheiten das Augenmerk der Malerin und damit selektiv Aufnahme in die Bildwelt fanden, sind die entstandenen Tafelbilder keinesfalls ausschließliche Dokumentationen des Gesehenen. Wedenig scheint vielmehr die wahrgenommene Atmosphäre einzufangen und sie aus den Werken sprechen zu lassen. In einigen der als Ölskizzen entstandenen Arbeiten wurde das Motiv durch visuelle Imagination verwandelt, wodurch die kulturell bedingte Mystik der Bildwelt mitunter verstärkt wurde. Die gespenstische Ruhe und tendenziell melancholische Grundstimmung, die aus den Bildern sprechen, erfahren durch die Zartheit und Sorgfalt der Mal- bzw. Zeichenweise und durch eine von matten Grün- und Violetttönen dominierte Farbigkeit ihre Betonungen.

Handelt es sich bei den auf Reisen entstandenen Arbeiten Wedenigs hauptsächlich um Skizzen, welche als solche einen unfertigen Habitus erkennen lassen, so scheint in den zeitlich nachfolgenden Bildserien der Zug des Fragmentarischen als künstlerischer Impetus seine Fortführung zu finden.


In der 2008 als Abschlussarbeit an der Akademie der bildenden Künste Wien entstandenen Serie Somnambul, die Reminiszenzen zum Leben der Großmutter der Künstlerin wiedergibt, verarbeitete Wedenig den Tod der nahen Verwandten in der Verknüpfung von im Haus der Großmutter gefundenen Materialien wie stark gemusterte Tapeten mit Bildern aus Erinnerung, Phantasie und Träumen sowie Motiven alter Fotografien aus dem Archivbestand der Familie. Artifizielle Bildmotive und kommerzieller Wanddekor vergangener Zeiten wurden dabei von der Malerin nach unbewusst gelenktem Vorstellungsvermögen harmonisch aufeinander abgestimmt und zu einer Darstellung verwoben. Durchwegs zeigt sich in den Arbeiten ein narratives Moment, welches anschaulich aus dem Leben der Großmutter und ihres häuslichen Umfeldes aus Sicht der Enkelin berichtet.


Auch in der Serie Haus eines Anderen (2008) kombiniert Wedenig Reiseerinnerungen mit phantastischen Bild­assoziationen, die sich in Folge der Lektüre Kafkas einstellten. In den Arbeiten werden die Einzelmotive mitunter zu neuartigen Szenerien arrangiert, denen etwas Traum­artiges anhaftet. Der Serientitel nimmt vorweg, dass die Zeichnungen und Ölbilder häufig einen selektiven Blick auf Innenräume zeigen und von einer gespenstischen Atmosphäre begleitet sind. Dort, wo in den Arbeiten menschliche Figuren erscheinen, sind diese zum Teil fragmentarisch und lasierend ausgeführt, wodurch sich der Eindruck des Geheimnisvollen verstärkt. Die eher zum Dunkel tendierende Farbgebung mit der bereits in den Reisebildern festzustellenden Vorliebe für violettfarbene Nuancierungen unterstreicht abermals die aus den Bildern sprechende Melancholie der verbildlichten Traumsequenzen.


In der Werkgruppe Sternengärtner (2008/09) bilden oftmals nicht näher definierte kosmische Räume mit geisterhaft-engelsgleichen Figuren, welche zum Teil mit Darstellungen von Waldtieren verknüpft sind, den Hintergrund. Wedenig kombiniert lasierend gemalte Stellen mit malerisch penibel ausformulierten Partien, die sich häufig als jeder Räumlichkeit beraubtes Ornament zu erkennen geben. Wie schon in den Arbeiten von Somnambul verquickt Wedenig die eigene Bildwelt mit Fundstücken aus der Hinterlassenschaft der Großmutter. Alte Heiligenbilder kommerzieller Verbreitung finden in collagierter und mehr oder weniger stark überarbeiteter Weise Eingang in Wedenigs Motivwelt und werden zu imaginierten bildlichen Erzählungen arrangiert. Eine Reihe kleiner Arbeiten, deren Trägermaterial Stofftaschentücher sind, nehmen dezidierter auf Wedenigs Vorgehensweise in Somnambul Bezug. Die teilweise gemusterten kleinen "Leinwände" bilden den Ausgangspunkt zur Bildfindung, die sich als assoziierte freie Vorstellung bzw. Erinnerung offenbart. Das Stofftaschentuch ist eine nostalgische Reminiszenz an die Vergangenheit.


In der Serie von Arbeiten mit dem Titel Honigstaub (2009/10) findet Wedenigs künstlerische Herangehensweise eine konsequente Fortführung. Wie in den vorangegangenen Werkgruppen ist die Farbigkeit in vielen Bildern eher stumpf-düster gehalten. Abermals wird aus dem großelterlichen Bildfundus geschöpft, kommerzielle Heiligendarstellungen werden collagenartig in erzählerisch-figürliche Szenerien um- und eingearbeitet. Einzelne Partien der Leinwände bleiben fragmentarisch, während andere malerisch sorgfältiger und ausformulierter umgesetzt sind. Nicht immer scheint der Hintergrund eindeutig räumlich fassbar und präsentiert sich mitunter als Verschränkung eines Davor, Dahinter und Dazwischen. Wie in manchen Bildern der vorhergehenden Serien tauchen auch hier Tierdarstellungen in den Arbeiten auf. In einzelnen Werken werden fotografische Familienportraits durch Übermalung bzw. -zeichnung verfremdet und einer inhaltlichen Umdeutung als Nachricht aus einem nicht näher definierten "Zwischenreich" unterzogen.


Die Arbeiten Klaus weiß Bescheid und Eine Liveschaltung (2010), die während einer Ausstellung in der Villacher Innenstadt zu sehen waren, nehmen vorweg, was in der folgenden Serie in manchen Arbeiten noch deutlicher hervortritt: Einzelne Bildelemente finden sich an anderer Stelle wieder. So hält beispielsweise der frontal von der Leinwand blickende Klaus Kinski in Klaus weiß Bescheid als Teil der im Gesamten als Installation ausgeführten Arbeit einen Leuchter im Arm, der als künstlerisch transformiertes Objekt im realen Raum nur wenige Zentimeter entfernt vom Bild an der Wand Aufstellung fand.


Mit dem Titel Evening Over Rooftops für die neue Werkgruppe ab 2011, den Wedenig von einem Song der "Edgar Broughton Band" entlehnte, schließt die Malerin konsequent an ihre vorhergehenden Serien an. Die Farbigkeit, das Changieren von lasierender und kräftiger Malweise, die Unbestimmtheit der Orte und Räume, in denen sich die traumhaften Szenerien abspielen, finden auch in den neuen Arbeiten eine Fortführung. Drei großformatigere Bilder sind über die Darstellung eines Kaleidoskops, das nicht das zentrale Bildmotiv ist, miteinander verbunden. Die Arbeiten bilden ein Referenzsystem, das bei genauerer Betrachtung auch eine formale, puzzleartige Überschneidung bzw. Fortführung von einer Arbeit zur nächsten zu erkennen gibt.


Zusammenfassend lässt sich für Wedenigs Arbeiten feststellen, dass den zumeist aus der Erinnerung, aus Träumen, aus Phantasien und aus der Realität der Gegenstandswelt gespeisten, traumhaft-illusionären und figürlich-erzählerischen Darstellungen ein Zug des Gespenstisch-Mystischen anhaftet, der über den Verzicht auf eine genaue Lokalisierung durch eine uneindeutige Bildräumlichkeit und die mehr düster-stumpf gehaltene Farbpalette intensiviert erscheint. Dezidiert lässt Wedenig ein Interesse am Erzeugen von Bildern als Gegenkonzept zur Wirklichkeit in Form von geheimnisvollen "Zwischenweltberichten" erkennen.


  1.   Vgl. Heiser Jörg, Plötzlich diese Übersicht. Was gute zeitgenössische Kunst ausmacht, Berlin 2007 (3. Aufl.), S. 127ff.

  2.   Vgl. Bader Graham, Deutsche Farbe. Amerikanische Augen. Eine globale Gegenwart, in: Tannert Christoph (Hg.), Neue Deutsche Malerei, München-Berlin-London-New York 2007, S. 50-65, 51ff.

  3.   Vgl. http://www.mdr.de/tv/4908207.html, Zugriff: 19.06.2010

  4.   Da die Postmoderne als Epochenbegriff zunehmend verschwindet, sich allerdings die Bedeutung des Wortes nach Lyotards La Condition postmoderne auch in Bezug auf die Gegenwartsmalerei anwenden lässt, wird hier zur zeitlich-inhaltlichen Beschreibung der Begriff "post-postmodernistisch" gewählt. Vgl. Elser Oliver, Postmoderne, in: Butin Hubert (Hg.), DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2006 (überarb. Neuausg.), S. 258-261.

  5.   Vgl. Reddeker Lioba, Grußwort, in: Reddeker Lioba, Weissacher Doris (Hg.), Eine Berührung der Wirklichkeit, [Katalog zur Ausstellung HangART-7 Edition 15, 15.02.-14.04.2010], Salzburg 2010, S. 4.

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